Der Rebell vom Genfersee
«Ich liebe es, ohne Netz zu arbeiten und ohne Nachbesserung»: Jean-Michel Novelle in seinem Weinkeller in Satigny GE Der Rebell vom Genfersee Der umtriebige Winzer Jean-Michel Novelle hält nichts von Bioweinen und Holzfässern. Dafür setzt er auf eine Produktion, die ganz ohne Tricks auskommt.
Pierre Thomas (Text) und Sebastien Agnetti (Foto)
Er war öfter am Flughafen in Cointrin als in seinem Weinberg. Doch von seinen Mandaten im Ausland hat der fliegende Önologe aus Genf nur eines behalten, nämlich die Beratung des chilenischen Weinguts Amayna, für das er unweit von Valparaiso einen bekannten Cabernet und einen Syrah kreiert hat. Und einen Pinot noir, der die Kritiker spaltet. Der Jahrgang 2016 markiert die Rückkehr von Jean-Michel Novelle in die Heimat: Seine Mutter, 85, die sich auf dem Weingut Grand Clos um die Kundschaft kümmert, kann es endlich etwas ruhiger angehen.
Novells Weinkeller in Satigny hat nichts Glamouröses. Ein simpler Schuppen. Und kein einziges Fass. Nur unterschiedlich grosse Edelstahltanks, verhüllt mit weissem Stoff.
«Gegen die Fliegen. Ich bin der König des schwimmenden Deckels», lacht der Mann, der 1994 von einer Jury des Schweizer Gastroführers «Gault Millau» zum «Winzer des Jahres» gekürt wurde. Schwimmender Deckel? Er ist das Ei des Kolumbus, das vor etwa dreissig Jahren erfunden wurde: Durch den auf dem Wein schwimmenden Deckel kann das Volumen des Tanks angepasst werden. Mit einer Membrane, die aufgeblasen wird, wird der Tank hermetisch abgeschlossen.
Mehr oder weniger... Jean-Michel Novelle scheut sich nicht davor, seine Weine atmen zu lassen.
«Ich liebe es, ohne Netz zu arbeiten, ohne Tricks und ohne Nachbesserung.» Beim Jahrgang 2016 hat es bei ihm klick gemacht. «Ich ernte die Früchte einer Arbeit, die in den 80er-Jahren angefangen hat, als wir auf dem väterlichen Gut 16 Rebsorten neu anpflanzten. Heute haben die Reben ein beachtliches Alter von fast 40 Jahren.
Sie bekamen weder Düngemittel noch Herbizide.» Nach einem Terroir-Effekt muss man in dieser grünen Genfer Landschaft jedoch nicht suchen: Die 16 Rebsorten stehen auf einem zusammenhängenden Stück Land von gerade mal 7 Hektaren. «Ich überlasse das Terroir sich selbst. Ich bin gegen das Pflügen», erklärt er.
«Aber man muss die Reben behandeln, um die besten Trauben zu erhalten. Das ist 2016 geschehen. Trotz eines kühlen und regenreichen Frühlings konnten wir wunderbare Trauben ernten.» Im Keller ist Novelle ein Anhänger des einfachen Vorgehens.
Es beginnt mit der sogenannten Mazeration aller Rebsorten, inklusive des Chasselas, den er mehrheitlich abgezupft hat, wobei er einige der ältesten Reben zurückbehält. Hier, in ihrem Saft, geschützt durch Trockeneis, entfalten die Trauben ihre ersten Aromen, die es während der gesamten Vinifizierung zu erhalten gilt. Kei-Weinbauer und Unternehmer Jean-Michel Novelle wurde 1963 als Sohn eines Winzers geboren. Anfänglich in der Genfer Parfümindustrie tätig, entschied er sich 1984, im nur sieben Hektaren umfassenden Weingut seines Vaters, Grand Clos in Satigny, einzusteigen.
Dort begann er sofort, andere Rebsorten als die gängigen Chasselas und Gamay anzupflanzen. 1987 lancierte er zusammen mit Jean-Daniel Schlaepfer, dem damaligen Präsidenten des Verbands der unabhängigen Winzer, die ersten Tage der offenen Keller. Nach Genf folgte Schritt für Schritt die ganze Schweiz seinem Vorbild. 1992 wurden die beiden Genfer in Zürich mit dem Branco-Weiss-Unternehmer-Preis ausgezeichnet.
1994 kürte der Schweizer «Gault Millau» Jean-Michel Novelle zum Winzer des Jahres. Er war zudem Berater verschiedener südfranzösischer Weingüter, seit 2002 unterstützt er das Weingut Amayna im chilenischen San Antonio. Im vergangenen Juni wurde sein Syrah 2015 an der International Wine Challenge als bester Syrah und als bester Rotwein Chiles ausgezeichnet. www.novelle.wine ne Arbeiten am Boden - und im Keller? Lässt er den Most gären, ohne ausgewählte Hefen zuzufügen - was heute im Trend liegt? «Ganz falsch! Ich erwarte von den Hefen, dass sie den Zucker so rasch wie möglich in Alkohol umwandeln. Diese erste Gärung muss so schnell wie möglich erfolgen, denn die zweite mache ich nicht bei meinen Weissen. Dann bleiben meine Weine auf ihren Hefen, die sauber sein müssen: Die Hefe ist das Leben.
«Die Technik ist da, um die Natur zu unterstützen» Ein paar Umfüllungen, mehrere Monate Lagerung im Tank, dann, nach einer radikalen Filtration, das Abfullen in die Flasche. So einfach. Aber was hält er vom trendigen Konzept der Naturweine? Die Antwort kommt sofort: «Sie meinen diese nach Gülle schmeckende Brühe, hergestellt von den Amischen des Weins? Die Technik ist da, um die Natur zu unterstützen.» Man sollte auch nicht über Barriques reden mit dem Genfer, der neue Eiche so sehr mochte: «Ich habe diesen ausgetretenen Pfad verlassen.
Das ist eine Form der Aromatisierung. Und will das der Konsument heute? Frucht! Weine, die jung ihr Optimum erreichen und nicht in einem hypothetischen Alter. Die Kunden haben nicht mehr die Möglichkeiten, Weine jahrzehntelang reifen zu lassen.» Die Regel gilt auch für seine Roten wie einen Cabernet Sauvignon (einen der ersten und wenigen in der Schweiz) aus perfekt gereiften Trauben, die nicht durch unreife Tannine, sondern eine schöne Säure gestützt werden: «Er wird sehr gut altem, auch ohne Holz», ist Novelle überzeugt.
Noch überraschender ist sein rarer Dessertwein, der durch das Solera-Verfahren inspiriert ist. In Andalusien wird es mit alten Sherryfässern angewandt. Bei Novelle mit seinen Tanks. Seit 2002 lagert er Süssweine, die aus zwei in Genf neuen Rebsorten gemacht sind, Petite Arvine (die grosse weisse Rebsorte des Wallis) und Petit Manseng (ihr Alter Ego aus Juransson am Fuss der französischen Pyrenäen), aufgepeppt mit Sauvignon blanc.
Die Trauben werden angetrocknet und anschliessend gepresst. In zwölf Jahren hat er nur fünf Ernten gemacht. Eine erste Mischung wurde 2014 vorgenommen, seither hat er den Tank jedes Jahr durch die Zugabe von Wein ergänzt. Das Erstaunliche ist, dass der Geschmack dieses Weins den Eindruck erweckt, als ob er durch neue Eichenfässer gegangen wäre mit seinen Noten von Pfirsich, kandierter Ananas, flambierter Banane und seiner schönen Länge ohne jede Schwere. Umwerfend! Und der Beweis der Zweckmässigkeit einer kontrollierten Vinifikation ohne Tricks. Die Lieblingsweine von Jean-Michel Novelle Savagnin 2016 Ir der Nase getrocknete Kräuter; dann kandierte Zitrone, Zitronat mit Mentholnoten; schone Fülle. Ein anderer Tank enthält eine verblüffende Assemblage von Savagnin blanc (Pai'en im Wallis) und Savagnin Rose (Gewürztraminer). «Mehr Jasmin und Moschus als Rosenwasser!», erklärt Jean-Michel Novelle, der fast in der Genfer Parfümindustrie gelandet wäre. Gamay 2016 Eine alte Beaujolais-Rebsorte, die in Genf gepflanzt wurde: Die Rebstöcke sind achtzig Jahre alt. Wiederum zwei Versionen: eine «superfruitée» mit Aromen von wilden Himbeeren und (fast) sulfitfrei. Und eine andere, bei der die Frucht noch etwas verhalten ist. Ein Rotwein mit dem Duft von Waldbeeren, mit einer Note von Bittermandeln im Abgang und mit einer grossen Frische. Syrah 2016 Eine Anleihe auf halbem Weg der Rhone flussaufwärts von Tain l'Ermitage und vom Wallis, mit einer Zugabe von 15 Prozent Viognier wie in Côte-Rôtie. In der Nase explodieren die Düfte von Veilchen und schwarzem Pfeffer. Frische Frucht, schöne Struktur, ohne zu viel Extraktion, mit seidigen Tanninen und angenehmer Säure. Jean-Michel Novelle: «Dieser Rote hat eine sichere Zukunft.».